Die Vertreibung
Seit dem Erwachen des tschechischen Nationalismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts spuckte in den Köpfen mancher tschechischer Politiker die Idee eines "ethnisch reinen" tschechischen Staatswesens. Zwölf Völker lebten damals unter dem Dach der Österreich-Ungarischen Monarchie und auch in Böhmen und Mähren wurden mindestens sieben verschiedene Sprachen benutzt. Unklar war der Weg, zu einem Tschechenstaat zu gelangen. Bei der Staatsgründung nach dem Ende des Ersten Weltkrieges schloß man die sogenannten Minderheiten mit Ausnahme der Slowaken einfach aus dem Staatsvolk aus. Die in der Verfassung nicht mehr existierenden Volksgruppen versuchte man durch wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Druck zu assimilieren. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges waren es ursprünglich in erster Linie strategische Gründe, die die Befürworter einer "ethnischen Säuberung" Ostmitteleuropas von der deutschstämmigen Bevölkerung ins Feld führten. Pläne für die Vertreibung der deutschen und ungarischen Bevölkerung aus der Nachkriegs-Tschechoslowakei wurden nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges innerhalb der tschechoslowakischen Exilregierung, an deren Spitze der 1938 zurückgetretene Präsident Eduard Benesch stand, in verschiedenen Varianten diskutiert. Der Führer der sudetendeutschen Sozialdemokratie, Wenzel Jaksch, der im "Tschechoslowakischen Rat" in London mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen Pläne einer Totalvertreibung opponierte, war schließlich im Bewußtsein der Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen gezwungen, seine Mitarbeit aufzukündigen. Dies hatte allerdings dann zur Folge, daß die Sudetendeutschen in der Exilregierung keinen Vertreter mehr hatten, der ihre Interessen wahrnehmen konnte.
Es sei auch erwähnt, daß nicht wenige sudetendeutsche Sozialdemokraten und andere Hitlergegner in der tschechoslowakischen Auslandsarmee Kriegsdienst leisteten. Nachdem Stalin das Vorhaben der Benesch-Exilregierung gebilligt und abgesegnet hatte (1943), begannen die Pläne für eine Vertreibung der Deutschen konkrete Formen anzunehmen. Das tschechische Wort "odsun" (Abschub) stand für die geplante Aktion. Nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches wurde die Tschechoslowakei in ihren alten, historischen Grenzen wieder hergestellt (mit Ausnahme der Karpato-Ukraine, die der Sowjetunion zugesprochen wurde). Unmittelbar nach Kriegsende, obwohl die Zustimmung der westlichen Alliierten noch ausstand, kam es in den deutschsprachigen Gebieten der Tschechoslowakei zu den ersten, den sogenannten "wilden Vertreibungen". Die zumeist von Kommunisten dominierten tschechischen Nationalausschüsse errichteten mit Hilfe der staatlichen Organe und des Pöbels, besonders in dem von der Roten Armee besetzten Teil des Sudetenlandes, ein brutales Terrorregime. Durch staatliche Dekrete wurden alle Deutschen kollektiv, vollständig und entschädigungslos enteignet.
Traurige Berühmtheit erlangte im Hinblick auf die wilden Vertreibungen der Todesmarsch der deutschen Brünner Bevölkerung (Brünner Todesmarsch). Nachrichten über diese Tragödien und Brutalitäten gelangten damals kaum an die Weltöffentlichkeit. Angesichts der anstehenden Nachkriegsprobleme war das Schicksal der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei kein Thema. Auch im Kuhländchen kam es in dieser ersten Phase zu wilden Vertreibungen. Ein Bericht über den ersten Transport aus der Stadt Neutitschein gibt davon ein Zeugnis. Dazu sei erwähnt, daß die Macht in Neutitschein nach Kriegsende nur z.T. von seit jeher in der Stadt ansässigen Tschechen ausgeübt wurde. Es waren zumeist Partisanen und KP-Funktionäre aus dem Ostrauer Gebiet, die für diese Maßnahmen gegen die deutsche Bevölkerung verantwortlich waren.
Allgemeine Informationen zur Vertreibung der Sudetendeutschen
Englische Video-Dokumentation über das Schicksal der Sudetendeutschen
Vertreibungstransporte aus Odrau
In alle Winde zerstreut
Die ca. 15 Mio. Vertriebenen aus dem Osten, davon 3 Mio. Sudetendeutsche (incl. ca. 100.000 Kuhländler), wurden in das damals von den Siegermächten besetzte und in Besatzungszonen aufgeteilte Restdeutschland wie folgt verteilt (Anteil der Vertriebenen zur ortsansässigen Bevölkerung in %):
Schleswig-Holstein | 856.130 | 33,0% |
Rheinland-Pfalz | 136.500 | 4,5% |
Hamburg | 115.000 | 7,1% |
Württemberg-Baden | 649.600 | 16,6% |
Bremen | 47.960 | 8,6% |
Württemberg-Hohenzollern | 113.500 | 9,6% |
Niedersachsen | 1.847.700 | 27,2% |
Baden | 98.380 | 7,3% |
Nordrhein-Westfalen | 1.322.920 | 10,0% |
Bayern | 1.932.320 | 21,0% |
Hessen | 714.800 | 16,5% |
Sowjetisch besetzte Zone | 3.651.000 | ca. 20,3% |