Kuhländchen, Heimat Johann Gregor Mendels und weiterer Persönlichkeiten
Der mährische Journalist Karl Joseph Jurende (1780-1842) hat nächst Schwoy im Jahre 1809 wohl den ältesten bekannten Beitrag über das Kuhländchen verfaßt. Dieser stützt sich nach seinen Angaben auf Unterlagen, die ihm ein mit dem Gebiet bestens vertrauter Oberamtmann vermittelt habe. Wie wir heute wissen, handelt es sich bei diesem Informanten um den damaligen Oberamtmann von Kunewald, Georg Teltschik (1765-1828), der zuvor als Amtmann auf den Gütern Deutsch-Jaßnik und Bistrau, später als Oberamtmann auf den Theresianischen Gütern in Neutitschein tätig war. Im Jahr 1809 rechnet Jurende 25 Ortschaften mit 28.282 Seelen zum engeren, mehr oder weniger auf die Oderniederungen bezogenen und insgesamt 43 Ortschaften mit 39.589 Seelen zum Kuhländchen im weiteren Sinne. Der engere Bezirk umfasse nicht ganz 4, der weitere etwa 5 Quadratmeilen (ca. 220 resp. 275 qkm; eine Landmeile in Österreich betrug ca. 7,5 km). Die Bevölkerungsdichte betrug im weiter gefaßten Gebiet etwa 7.900 Seelen/Quadratmeile (= ca. 144 Seelen/qkm). Sie dürfte damals eine der größten in Europa gewesen sein. Das unter dem Einfluß der Industrialisierung im 19. Jahrhundert dann weiter gefaßte Kuhländchen bestand 1910 aus 70 deutschen und 25 tschechischen Gemeinden bei einer Fläche von ca. 700 qkm sowie einer Bevölkerungsdichte von (1939) 150 Seelen/qkm. Politisch gesehen war das Kuhländchen zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts keine Einheit.
Dieses geographisch relativ kleine Gebiet war nach der deutschen Besiedelung vor 700 Jahren zu einem Schmelztiegel ost/westlicher und nord/südlicher Bevölkerungsbewegungen sowie Rückzugsgebiet von Glaubensflüchtlingen aus Westeuropa und der damit verbundenen vielfältigen Kontakten zwischen den benachbarten Völkern geworden. Im 18. bis 20. Jahrhundert brachten die handwerklichen und industriellen Erzeugnisse des Kuhländchens weitreichende internationale Handelskontakte.
Der Name der Stadt Fulnek ist eng mit Amos Comenius (1592-1670), dem Begründer der modernen europäischen Pädagogik, verbunden. Sedlnitz bei Neutitschein war die Wahlheimat des bekanntesten deutschen Dichters der Romantik, Joseph von Eichendorff (1788-1857) und der Nachbarort Partschendorf die Wahlheimat von Johann Georg Meinert (1773-1844), des ersten Sammlers von mundartlichen Volksliedern im deutschen Sprachraum. Beide pflegten regen Austausch und Zusammenarbeit. Die Schönheiten der Natur regten Eichendorff zu seinen zeitlos schönen Gedichten an. Die Dörfer, Städte, Schlösser und Burgen des Kuhländchens gaben die Kulisse zu Novellen wie "Aus dem Leben eines Taugenichts".
Heinzendorf, der Geburtsort J.G. Mendels, und das Gebiet nordöstlich davon gehörte zum Kreis Troppau und damit nach Österreichisch-Schlesien. Der übrige Teil - darunter das Pfarrzentrum von Heinzendorf, Groß-Petersdorf, ferner das geographische Zentrum Kunewald und die Hauptstadt Neutitschein - gehörte zum Kreise Prerau und damit zum eigentlichen Mähren. Etwa 16 verschiedene Adels-Herrschaften teilten das Gebiet unter sich. Konfessionsmäßig war nach Jurende nur die Ortschaft Zauchtel größtenteils protestantisch, das übrige Kuhländchen hingegen überwiegend oder ganz katholisch. Überall bestanden jedoch noch Verbindungen zur Herrnhuter Brüdergemeine in Sachsen, die einst vom Kuhländchen aus ihre Entstehung genommen hatte.
Wohl nicht nur der hohen Bevölkerungsdichte, sicherlich auch dem dort damals lebenden Menschenschlag entspricht die erstaunlich große Zahl bedeutender Persönlichkeiten, die im Kuhländchen geboren sind oder dort gelebt haben: "Ein Kuhländler", so schreibt Jurende, "unterscheidet sich ... unter den Deutschen, so wie ein Hannacke unter den "Slawen". Dies bezog sich sicherlich nicht allein auf die Sprache, sondern auch auf das Wesen der Bewohner (Hannacken sind die Bewohner der fruchtbaren Hanna-Ebene Mittelmährens). Es ist hier nicht der Ort, alle bedeutenden Söhne und Töchter des Kuhländchens erschöpfend aufzuführen. Doch zweifelsohne der größte Sohn des Kuhländchens, und somit hier an erster Stelle zu nennen, ist Johann Gregor Mendel aus Heinzendorf (1822-1884), der Begründer der modernen Vererbungslehre und Genetik.
Aus Freiberg, im Osten des Ländchens, stammt Sigmund Freud (1856-1939), der Begründer der Psychoanalyse. In dem im Südosten des Ländchens gelegenen Dorf Senftleben ist Christian David (1690-1751) geboren. Er gehört zu den Gründern von Herrnhut in Sachsen, dem Zufluchtsort der im 18. Jahrhundert wegen ihres Glaubens verfolgten Menschen aus den Kuhländler Orten um Fulnek. Er ist damit auch zum Mitbegründer der heute weltweiten "Mährischen Kirche/ Moravian Church" geworden.